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25. März 2020

The hidden

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Kapitel Eins

Seit mehr als einer Woche ließ Marcos Mutter ihn nicht aus der Wohnung. Coronavirus. Er konnte das Wort nicht mehr hören. Zu Beginn schien ihm das alles noch wie ein Traum. Keine Schule, nur zu Hause sitzen, die ganze Zeit FIFA und Fortnite zocken, hin und wieder mit seinen Freunden chatten und jeden Tag mindestens einen Song schreiben. So stellte er sich zumindest sein Leben vor. Die Realität sah anders aus. Jeden Tag legte ihm seine Mutter einen Stapel Zettel hin. Aufgaben, die seine Lehrerin geschickt hatte. Bevor er die nicht erledigt hatte, blieb seine Spielkonsole im Kasten eingesperrt und das W-Lan ausgeschaltet.

Die ersten Tage musste Marcos Mutter noch ins Büro, so konnte er sich in das Netz des türkischen Supermarktes im Erdgeschoss einloggen. Doch seit Donnerstag machte sie Homeoffice. Auch so ein Wort, das er hasste. Sie saß am Computer, er am Esstisch. Von zehn bis zwei. Seine Mutter kontrollierte dann vor dem Mittagessen seine Arbeiten. Danach musste er „sich ein wenig am gemeinsamen Haushalt beteiligen“, wie sie es nannte. Der Rest des Tages gehörte dann Marco.

Zum ersten Mal seit mehr als einer Woche durfte er am Dienstag wieder das Haus verlassen. Seiner Großmutter waren die Lebensmittel ausgegangen und Marco nutzte die Gelegenheit, ein wenig frische Luft zu schnappen. Seine Mutter schrieb ihm einen Einkaufszettel und gab ihm zwei Zwanzig-Euro-Scheine. Doch kaum hatte er das Haus verlassen wurde er das Gefühl nicht los, verfolgt zu werden. Er drehte sich öfter um, konnte aber niemanden entdecken.

Der Supermarkt war menschenleer, an der Kassa, die mit einer Plexiglasscheibe gesichert war, saß eine junge Verkäuferin und wischte auf ihrem Smartphone herum. Lustlos schob er den Einkaufswagen durch das Geschäftslokal und arbeitete den Einkaufszettel ab. Kekse, zwei Semmeln, Marmorkuchen und ein Sack Äpfel hatte Marco schon in den Wagen gelegt, als ihm der Mann mit der schwarz-weiß gestreiften Jacke auffiel. Obwohl es draußen regnete, hatte er eine Sonnenbrille auf. Jedes Mal, wenn ihn Marco ansah, drehte sich der Mann weg und verschwand hinter einem Regal.

Weiter mit der Liste. Wein. Marco kam sich vor wie Rotkäppchen. Wein und Kuchen für die Großmutter.

„Ich komm mir vor wie Rotkäppchen, Kuchen und Wein für die Großmutter, Doch ich bin nicht dieses Mädchen, Meine Oma will auch Äpfel und Butter.“

Mit diesen Zeilen würde Marco nicht berühmt werden, aber sie waren ein Anfang. Er holte sein Rhymebook aus der Hosentasche und notierte die Zeilen.

„Entschuldigung, brauchst du nach lang?“ Marco zuckte zusammen. Eine Frau, die ein kleines Mädchen an der Hand hielt stand einen Meter vor ihm. „Ich brauche nur einen Liter Milch.“ Er hatte nicht bemerkt, dass er mit seinem Wagen das Kühlregal blockierte. Marco schüttelte den Kopf, murmelte: „Bin schon fertig.“ und schob seinen Wagen weiter. Butter, Milch, Käse und Joghurt landeten im Einkaufswagen. Er ließ seinen Blick durch den Supermarkt schweifen. Die Frau mit dem kleinen Kind war inzwischen bei der Kassa, ein älterer Mann mit weißem Bart trug zwei große Packungen Klopapier. Von der Sonnenbrille keine Spur.

Also weiter mit der Liste: Ein Sack Erdäpfel, Mehl, Eier, Zwiebel, Knoblauch. Als er auch noch Faschiertes in den Wagen legte, wusste er, was seine Großmutter vorhatte. Heute Abend würde er sie noch einmal besuchen und eine große Portion Lasagne für seine Mutter und sich abholen.

Der Wagen war schon gut gefüllt und Marco machte sich Sorgen, dass er den Einkauf in die beiden Taschen unterbringen würde. Er fuhr zur Kassa, legte die Waren auf das Förderband, zahlte mit den beiden Geldscheinen, die ihm seine Mutter mitgegeben hatte und packte alles in die beiden Taschen.

Seine Großmutter freute sich, ihn zu sehen. Sie bedankte sich überschwänglich und bat ihn, am Abend noch einmal vorbei zu kommen. Er hatte es gewusst. Lasagne. Zu Hause erwartet ihn schon seine Mutter.

„Marco, wo hast du deinen Kopf. Ich hab dir alles aufgeschrieben und trotzdem hast du etwas vergessen. Ich weiß  nicht, ob Oma das heute noch braucht. Rufst du sie bitte an?“ Seine Mutter hatte schon wieder diesen Ich-weiß-nicht-was-ich-mit-dir-machen-soll-Blick.

Also nahm er sein Handy zur Hand. Doch noch bevor er die Nummer der Großmutter wählen konnte, bemerkte er, dass er ein SMS bekommen hatte. Die Telefonnummer kannte er nicht. Er öffnete die Nachricht, las sie und erschrak.

„Du hast etwas, das mir gehört. Heute 18.00 Uhr Stadtwildnis.“ Kein Name, nur ein Emoji. Das mit der schwarzen Sonnenbrille.

Was hat Marco vergessen, einzukaufen? Die Anzahl der Buchstaben des Wortes ist die erste Zahl des Codes.

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Kapitel Zwei

Es war 20.00 Uhr, Marco saß vor seinem Computer und ließ sein Handy nicht aus den Augen. Von der Lasagne seiner Großmutter hat er keinen Bissen heruntergebracht. Er wollte um halb sechs gehen, um das Essen zu holen, doch seine Mutter ließ ihn nicht weg. Marco musste zuerst auf den Anruf der Großmutter warten. Und der kam um erst halb sieben. So schnell er konnte lief er zur Stadtwildnis, doch die war menschenleer. Inzwischen war es fast dunkel geworden, aber in der Dämmerung entdeckte er auf einer Bank eine schwarze Sonnenbrille.

„Shit, er ist weg.“ murmelte Marco. Vorsichtig hob er die Brille auf und untersuchte sie. Die verspiegelten Gläser waren ein wenig zerkratzt, sonst fand er nichts Ungewöhnliches. Behutsam legte er sie zurück auf Bank und machte sich auf den Weg zu seiner Großmutter. Zum Glück hatte seine Mutter nichts von seinem kleinen Abstecher bemerkt, als mit dem Nachtmahl wieder zu Hause war.

Nun saß Marco zu Hause und zerbrach sich seinen Kopf, was der Sonnenbrillenmann von ihm wollte. Was hatte er, was ihm nicht gehörte? Er war jetzt über eine Woche zu Hause. Was sollte er da angestellt haben? Ihm fiel nichts ein.

Bevor der große Lockdown begonnen hatte, war er noch einmal zum Donaukanal gegangen und hatte ein kleines Graffiti gesprayt, aber da hatte er nichts mitgenommen, sondern eher etwas dort gelassen. Das konnte die Sonnenbrille nicht meinen. Er nahm sein Handy zur Hand und öffnete die Galerie. Wie es seine Gewohnheit war, hatte er von der Aktion ein Foto vorher und eines nachher gemacht, doch auf den beiden Bildern konnte er nichts Besonderes entdecken.

Vor seinem Fenster hörte er plötzlich Sirenen, die sich mit dem Sound seiner Musik mischten. Sirenen war er gewohnt, befanden sich doch die Stationen von Rettung und Feuerwehr in seiner Nähe, doch normalerweise verklangen sie wieder nach wenigen Sekunden, doch diesmal hörten sie nicht auf. Das auf- und abschwellende blaue Licht beleuchtete gespenstisch sein Zimmer. Marco stand auf und trat ans Fenster. Drüben, beim Globe-Theater war einiges los. Vier Feuerwehrwägen standen vorm Eingang, unzählige Uniformierte mit Helmen und Masken rannten hektisch hin und her, riefen Kommandos und rollten Schläuche aus. Aus dem Dach des Theaters stiegen kleine Rauchsäulen auf.

Auf seinem Schreibtische trommelte sein Handy. Eine SMS. Marco stürzte zum Schreibtisch, schnappte sein Handy, doch in der Hektik war er ungeschickt und sein Phone fiel zu Boden. Er fluchte und hob es auf. Natürlich hatte es sich wieder abgedreht. Seit Monaten flehte er seine Mutter an, dass sie ihm ein neues Handy kaufen sollte, ohne Erfolg. Marco drückte die Taste um, es wieder einzuschalten und wartete auf den Startbildschirm. Nach einigen Sekunden erschien die Tastatur und forderte einen Code von ihm. Er dachte kurz nach, dann fiel er ihm ein. Es war das Geburtsjahr seiner Lieblingsrapperin Sookee.

Wann wurde Sookee geboren? Schau im Internet nach. Die letzte Stelle der Jahreszahl (XXX?, die, wo das Fragezeichen steht) ist die nächste Ziffer deines Codes.

Kapitel Drei

„Wo warst du?“ Marco hatte sein Handy zum Laufen gebracht und die SMS geöffnet.
„Ich war dort, du warst schon weg.“ antwortete er. Es dauerte nicht lange, da trommelte sein Handy wieder.
„18.00 war ausgemacht. Du hast noch eine Chance.“
„Was willst du von mir?“
„Mitternacht. In der Mitte des großen Gesichts.“
„Welches Gesicht?“
„Du stellst zu viele Fragen. Komm.“
„Sonst was?“
„Sieh aus dem Fenster. Das nächste Mal muss die Feuerwehr zu dir kommen.“
„Was willst du von mir?“
„Du wiederholst dich.“
„Weil du mir nicht antwortest.“
„Das versteckte Bild.“
„Welches versteckte Bild?“
„Mitternacht.“
„Und dann?“

Marco wartete. Eine Minute. Fünf Minuten. Zehn Minuten. Keine Antwort mehr.

Die Tür zu seinem Zimmer öffnete sich.

„Marco, du sollst nicht so lange vor dem Computer sitzen.“ Wie immer war seine Mutter ohne anzuklopfen hereingekommen. „Willst du nicht mit mir eine Runde Wizzard spielen?“

„Wizzard? Zu zweit?“ Marco schüttelte den Kopf. „Außerdem spiele ich gerade mit einem Freund.“

„Fortnite?“

„Nein, so eine Art Schnitzeljagd im Internet. Wir müssen ein großes Gesicht finden. Hier in der Nähe.“

„Ein Gesicht? Hier in der Nähe?“ Seine Mutter überlegte. „Hmm. Da kann ich dir leider nicht helfen. Hast die Feuerwehr bemerkt?“

Marco murmelte irgendetwas, das seine Mutter mit einigem guten Willen als Zustimmung deuten konnte. Sie blieb noch einige Augenblicke stehen und verließ dann sein Zimmer. Wo wollte die Sonnenbrille ihn treffen? Ein großes Gesicht? Er startete Google-Earth, gab seine Adresse ein und zoomte sich in seine Straße. Er spielte sich mit dem Zoom, suchte die ganze Gegend zwischen Arena und Schlachthausgasse ab, nichts.

Plötzlich stand seine Mutter wieder in der Tür.

„Jetzt ist mir was eingefallen. Es ist schon länger her. Ein Jahr oder so, da hab ich was im Fernsehen gesehen. Da hat irgendein Maler was auf den Platz neben dem Theater gemalt. Glaub ich zumindest. Oder war das doch in Berlin? Egal. Du, findest das sicher heraus.“

Marco öffnete die Suchmaschine, gab Neu-Marx und noch einen zwei Wörter ein. Na bitte, da war es ja, das große Gesicht.

Wie heißt der Künstler, der in Neu-Marx ein riesiges Bild auf eine Betonfläche gemalt hat? An welcher Stelle steht das L in seinem Namen? Das ist die nächste Ziffer für den Code.

Kapitel Vier

Um zur großen Fläche mit dem Gesicht zu kommen, musste Marco einen großen Umweg machen. Rund um das Globe-Theater standen noch immer Einsatzwagen und Feuerwehrleute rannten geschäftig auf und ab. Daran hatte er nicht gedacht.

Zu Hause hatte er lange gewartet und immer wieder an der Tür zum Schlafzimmer gelauscht. Erst knapp vor Mitternacht war er sicher, dass sie schlief. Als er das gleichmäßige Schnarchen hört zog er sich vorsichtig an, schloss um keinen Lärm zu machen die Haustür mit seinem Schlüssel und machte sich auf den Weg.

Er sah auf sein Handy. 23 Uhr 57. Er hatte noch drei Minuten. Er schlich im Schatten der Bäume zurück zu dem Tor mit den steinernen Stieren, bog nach rechts ab und begann zu laufen. Am Ende des riesigen Neubaus erreichte er den Parkplatz. In der Dunkelheit erkannte er einige Autos und Trucks. Er wurde langsamer, sah sich um und ging vorsichtig weiter. Jeder Schritt, den er setzte wurde von einem Knirschen des Kieses unter seinen Sohlen begleitet. Schemenhaft erkannte er wenige Meter vor sich einen Maschendrahtzaun, der von Gestrüpp überwuchert war. Mühsam quälte er sich über dieses Hindernis. Ein Draht zerriss ihm seine Hose und hinterließ eine brennende Strieme auf seinem Oberschenkel.

Als er den Zaun überquert hatte, blieb er kurz stehen, versucht ruhig zu atmen und sah sich um. Der Lärm der Feuerwehrleute, die er in einiger Entfernung sah, drang nur mehr sehr gedämpft zu ihm. Vor ihm lag eine schmale, unbeleuchtete Straße, dahinter nahm er noch einen Zaun wahr. Ein Blick auf das Handy. 00 Uhr 05. Aber noch keine SMS.

Marco schlich zu dem Zaun, hinter dem er das riesige Graffiti vermutete. Gerade griff er an das Gitter, als sich ihm von hinten eine Hand auf die Schulter legte. Er wollte schreien, doch eine andere Hand hielt ihm den Mund. Heißer Atem strich ihm über das Ohr.

„Ich sagte Mitternacht. Du bist unzuverlässig.“ flüsterte der Mann hinter ihm. „Wenn ich jetzt meine Hand von deinem Mund nehme wirst du nicht schreien, verstanden?“

Marco nickte.

„Gut.“ Der Mann ließ Marco los. „Umdrehen.“

Langsam drehte sich Marco um. Vor ihm stand der Mann, den er schon im Supermarkt gesehen hatte. Schwarz-Weiß gestreifte Jacke und trotz der Dunkelheit trug er eine Sonnenbrille.

„Sie haben viele Sonnenbrillen.“ Versuchte Marco einen kleinen Scherz. „Eine haben sie in der Stadtwildnis vergessen.“

Der Mann verzog sein Gesicht zu einem Grinsen. „Schau an, ein ganz schlauer. Da hat man mich gut informiert.“
„Wer?“
„Das tut nichts zur Sache. Ich brauche Dich.“
„Mich? Ich habe geglaubt, ich hab etwas, dass ihnen gehört.“
„Gewissermaßen. Du musst mir helfen.“
„Warum?“
„Weil du klug bist.“
„Und was bekomme ich dafür?“
„Ein Abenteuer, über das du ein ganzes Album schreiben kannst.“
„Sonst nichts?“
„Und eine Wand.“
„Eine Wand?“
„In einer Galerie. Nur für dich.“
„Und was muss ich dafür tun?“
„Mir helfen. Ein Rätsel lösen.“
„Ich darf aber nicht raus.“
„Du bist draußen.“
„Jetzt, aber am Tag bewacht mich meine Mutter.“
„Du wirst jetzt nicht mehr heimgehen.“
„Aber meine Mutter wird merken, wenn ich morgen früh nicht zu Hause bin.“
„Du wirst morgen früh wieder zu Hause sein.“
„Aber meine Mutter wacht jeden Tag um halb acht auf.“
„Dann beeilen wir uns. Wir haben nur mehr ein paar Stunden Zeit.“

In wie vielen Stunden muss Marco wieder zu Hause sein? Das ist die vierte Zahl deines Codes.

Kapitel Fünf

Seit einer viertel Stunde saßen sie in einem schwarzen BMW und fuhren durch die Stadt. Marco fühlte sich nicht wohl. Ihm war kalt, er machte sich Sorgen, ob seine Mutter sein Verschwinden bemerken würde und er wusste noch immer nicht, was der Mann am Steuer von ihm wollte. Seit einer viertel Stunde herrschte im Auto eisiges Schweigen.

Marco starrte aus dem Fenster. Die Gehsteige waren leer, nur wenige Fahrzeuge waren unterwegs. Der Mann steuerte den Wagen den Ring entlang. Oper, Parlament, Burgtheater. Knapp vor dem Ringturm lenkte der Mann den BMW in die Nebenfahrbahn, parkte gegenüber von der U-Bahn-Station und stellte den Motor ab.

„Und jetzt?“ fragte Marco. „Erklären sie mir endlich, was sie von mir wollen?“

Der Mann holte eine Zigarettenpackung und ein Feuerzeug aus seiner Jacke, steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, ließ sein Zippo klicken und gab sich Feuer. Er inhalierte tief, produzierte ein paar Rauchringe und begann zu sprechen.

„Sagt dir der Name Lester etwas?“

Marco schüttelte den Kopf.

„Das wundert mich. Lester war ein großer Graffitikünstler. Ihm wurde eine Zukunft wie Banksy vorausgesagt. Seine Werke werden in der Kunstszene um sechs- bis siebenstellige Beträge gehandelt. Ich hatte das Glück, dass meine Galerie ihn vertreten durfte. Bis vorgestern.“ Der Mann öffnete das Fenster und warf die Zigarette auf den Gehsteig. „Vorgestern hatte Lester einen Unfall. Er arbeitete an der U4 und hat eine U-Bahn übersehen. Tja. Berufsrisiko.“

„Und was hab ich damit zu tun?“ fragte Marco.

„Es heißt, Lester hat bis zum Schluss an einem großen Bild gearbeitet. Sein Meisterwerk. Angeblich hat er in einem alten, seit Jahren nicht mehr benutzten Keller gearbeitet. Irgendein Luftschutzkeller aus der Nazizeit. Und die Spur führt in den dritten Bezirk.“

„Was machen wir dann am Donaukanal?“

„Lester hat angeblich in jedem seiner Bilder einen Hinweis auf den Keller eingearbeitet. Ein Graffiti führt zu nächsten. Ich habe alle gefunden. Bis auf das letzte. Es muss hier irgendwo am Donaukanal sein. Ich weiß, dass du oft hier arbeitest. Vielleicht kennst du das Graffiti.“ Er öffnete seine Tür. „Wir machen jetzt einen kleinen Spaziergang. Komm mit.“

Sie stiegen aus dem Auto, überquerten den Kai und die Augartenbrücke. Danach stiegen die Stufen zum Donaukanal hinab. Nur hin und wieder durchbrach der Motorenlärm eines Autos die Stille. Im fahlen Licht der Straßenlaternen erkannte Marco die ersten bunten Bilder an den Wänden. Doch denen widmete der Mann keinen Blick. Zielstrebig ging er weiter, unter der Salztorbrücke hindurch, vorbei an Stufen, die direkt ins Wasser führten.

„Was waren das für Hinweise auf den Bildern?“ Marco fragte weniger aus Interesse, ihm ging das Schweigen auf die Nerven.

„Verschiedene.“ Sie gingen unter der Marienbrücke durch und die harten Absätze der Schuhe des Mannes hallten durch die Nacht. „Der letzte, der mich hierher führte war eine angedeutete Statue der Heiligen Maria, die eine Schwedenflagge schwenkt. Da kam ich auf die Idee, dass er das Bild zwischen Marien- und Schwedenbrücke gemalt haben könnte. Hier gibt es nur ein Graffiti, aber das ist nicht von Lester.“

Der Mann war stehen geblieben und zeigte auf ein buntes Bild. Marco wurde blass, das Herz setzte für einige Augenblicke aus. Sie standen vor dem Bild, das er vor einer Woche gesprayt hatte.

Unter wie vielen Brücken sind Marco und der Mann durchgegangen?

Kapitel Sechs

„Was genau hast du dir dabei gedacht?“ Der Mann versuchte einen Laptop an einen Beamer anzuschließen. Marco saß daneben auf einem ledernen Bürostuhl, drehte sich langsam hin und her und zuckte mit den Schultern. Nach dem Ausflug zum Donaukanal waren sie nicht mehr zum Auto zurückgekehrt. Der Mann, der sich Marco noch immer nicht vorgestellt hatte, führte ihn in eine kleine Galerie in der Nähe des Ringturms. Dort lud er sich das Bild, das Marco von dem Graffiti, das er übersprayt hatte, noch auf seinem Handy gespeichert hatte, auf seinen Laptop.

„Was genau hast du dir dabei gedacht, Lesters Bild zu übermalen?“ „Das ist üblich in der Szene. In Wien gibt es nicht genug Wände und Graffitis sind Gebrauchskunst. Du sprayst, machst ein Foto davon und zwei Tage später ist es weg.“ „Aber das war ein Bild von Lester!“ Der Mann drückte einen Knopf am Beamer und auf der Wand gegenüber dem Schreibtisch, an dem Marco saß, erschien ein großes Bild eines Apple-Desktops. Ein Ordner öffnete sich, dann noch einer, dann war nur mehr das Icon einer Bilddatei zu sehen.

„Dann lass uns Lesters Werk einmal begutachten.“ Der Mann klickte auf das Icon und auf der Wand erschien das Bild eines bunten Graffitis. Ein Krokodil, dessen Kopf sich in seine Einzelteile zerlegte, jagte einen Goldfisch, der in drei Teile zerschnitten war. Vor sich hatte er einen Teller mit Würstel stehen, daneben lagen zwei Senftuben, eine trug die Ziffer 9, die andere einen Nuller. Dahinter sah man den hinteren Teil eines Skeletts schwimmen. Es könnten die Knochen eines Dinosauriers sein. Oder eines anderen Krokodils.

Marco drehte sich zum Mann und wollte etwas sagen. Doch der stand da, starrte das Bild an und Marco schien es, als hätte er Tränen in den Augen. Der Mann drehte sich weg und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.

„Also, was wollte uns Lester sagen? Du bist doch kreativ.“  Er drehte sich zu Marco, die Tränen waren verschwunden. „Sieh genau hin. Es muss sich eine Adresse in dem Bild verstecken.“

Marco überlegte: „Knochengasse, Krokodilgasse, Fischstraße…“ Der Mann unterbrach ihn: „Nein, nein, das ist zu offensichtlich. Oder doch?“ Er ging zum Schreibtisch und holte aus einer Lade einen Stadtplan hervor.

„Das ist nicht ihr ernst.“ Marco war verblüfft. „Haben sie noch nie etwas von Google-Maps gehört.“ „Gehört schon.“ Der Mann blätterte in dem Buch. „Aber hiermit bin ich schneller.“ Er fuhr mit dem Finger die Zeilen entlang. „In Wien gibt es weder eine Knochen- noch eine Krokodilgasse. Auch keine Fischstraße, aber einiges mit Fischer am Anfang.“ „Goldfisch?“ „Nein.“ Der Mann schüttelte den Kopf. „Goldegg, Goldhammer, Goldlack, Goldschlag, aber keinen Goldfisch.“ „Luftblasen.“ rief Marco. „Schauen sie, die Luftblasen sehen sehr eigenartig aus, wie Bluttropfen.“ „Luftbad, keine Luftblasen.“

Marco erhob sich aus seinem Schreibtischsessel und ging nahe zur Wand. Langsam ließ er seinen Blick von oben nach unten gleiten. In der rechten unteren Ecke stoppte er. „Tellergasse. Würstelgasse. Frankfurter. Der Erfinder des Frankfurter Würstels kam angeblich aus Wien. Im siebten Bezirk gibt es ein Haus, in dem er angeblich gelebt hat.“

Der Mann überlegte. „Das wäre natürlich möglich. Im siebten Bezirk gibt es einige alte Häuser mit tiefen Kellern. Und der Neuner und der Nuller sind Hinweise auf die Hausnummer.“ „Aber braucht es eine Hausnummer, wenn wir wissen in welchem Haus der Typ gewohnt hat?“ „Nein.“ „Vielleicht hat es etwas mit den Senftuben zu tun.“ Marco ging im Strahl des Beamers auf und ab. „Tubengasse, Estragongasse, Kremsergasse …“ „Kremsergasse! Die gibt es. In Hietzing. Seite 42, Q7.“ Der Mann blätterte in dem Buch und hielt es, nachdem er die Seite gefunden hatte, ins Licht. „Da ist sie. Aber die ist zu kurz. Die hat keine 90 Hausnummern.“ Sagte er enttäuscht.

Marco verlor langsam die Geduld. „Was weiß ich. Vielleicht meinte Lester auch Senferzeuger. Haas, Lommee, Mautner Markhof. Da gibt es so viele.“ „Die ist es!“ rief der Mann. „Die Lommeegasse?“ „Blödsinn. Die Mautner Markhof-Gasse, hier.“ Er hielt den Stadtplan wie einen Siegerpokal in die Höhe. „Sie liegt zwar nicht in Erdberg, aber knapp daneben.“

In welchem Bezirk liegt die Mautner Markhof-Gasse? Zähle die beiden Ziffern der Zahl zusammen. Das ist die nächste Stelle deines Codes.

Kapitel Sieben

„Finden sie nicht, dass es langsam an der Zeit wäre, sich vorzustellen?“ fragte Marco und sah auf sein Handy. Es war knapp nach zwei Uhr. Noch hatten sie gut fünf Stunden Zeit, bis seine Mutter aufwachen würde. Der Mann steuerte den schwarzen BMW den Rennweg stadtauswärts.

„Sie kannten Lester, oder?“ Marco hielt das Schweigen zwischen ihnen nicht mehr aus.
„Das hab ich dir doch gesagt, er war einer meiner Künstler. Meine Galerie hat ihn vertreten.“ Er bremste und hielt den Wagen vor einer roten Ampel an. Der Motor schaltete sich aus. „Josef.“
„Wie bitte?“ fragte Marco überrascht.
„Josef.“ wiederholte der Mann und stieg aufs Gas. Der Motor startete, der Wagen setzte sich in Bewegung. „Mein Name ist Josef.“
„Angenehm, Marco.“ Er hielt ihm seine Hand hin, Josef ignorierte sie. „Schön, sie kennen zu lernen.“
„Er war mein Bruder.“
„Lester?“ Josef nickte.

„Sind sie nicht ein bisschen zu alt dafür?“ fragte Marco verwundert.
„Mein Vater war ein berühmter Anwalt. Ich bin sein Sohn aus erster Ehe, Lester aus seiner letzten. Zwischen uns liegen dreißig Jahre. Kennengelernt habe ich Lester beim Begräbnis meines Vaters. Da sind alle seine Exfrauen aufgetaucht. Mit allen meinen Halbgeschwistern. Alle wollten sich einen Teil des Erbes sichern.“
„Haben sie viele Geschwister?“
„Richtige nicht. Aber Halbgeschwister einige. Da sind einmal Emilie und ihr Bruder, die sind gleich nach mir gekommen. Seine dritte Ehe blieb kinderlos, die dauerte nicht lange. Mit der Mutter von Sebastian war er nicht verheiratet. Dafür bekam dann Sophia Zwillinge. Und Lesters Mutter lernte er mit sechzig kennen, sie war die fünfte und letzte. Ach ja, meine Mutter hat auch noch einmal geheiratet. Aber zu Lydia und Max hab ich kaum Kontakt.“
„Die beiden sind auch Halbgeschwister?“ Josef nickte abermals.
„Das sind einige.“ sagte Marco beeindruckt.
„Und du? Hast du Geschwister?“
„Ich glaube nicht. Zumindest hat mir mein Vater letzte Woche nichts davon gesagt, als ich ihn getroffen habe.“ Marco wechselte schnell das Thema. „Haben sie gewusst, dass Lester ein Graffiti-Künstler ist?“

„Lester Arbeiten kannte ich natürlich, dass sich hinter dem Aka mein Bruder Ludwig verbirgt wusste ich nicht. Beim Leichenschmaus sind wir ins Gespräch gekommen, er hat mir einige seiner Arbeiten gezeigt und zwei Wochen später habe ich ihm einen Vertrag angeboten.“

Josef setzte den Blinker und bog von Simmeringer Hauptstraße nach links ab. Er bremste und fuhr beinahe im Schritttempo weiter.

„So, die Straße haben wir gefunden.“ Sie fuhren durch eine schmale, dunkle Gasse. Rechts befand sich eine Werkstatt, links ein modernes Wohnhaus. Die Straße machte einen scharfen Knick nach links. Josef sah aus dem Fenster. „96, 94, 92, 90. Wir sind da!“

Da Josef nicht direkt vor dem Haus parken wollte, fuhr er noch ein paar Meter weiter und stellte den Wagen am rechten Straßenrand ab.

„Und jetzt?“ fragte Marco. Ihm war nicht ganz wohl bei der Sache. „Jetzt schauen, wieviel kriminelle Energie wir beiden haben und brechen in das Haus ein.“

Wie viele Halbgeschwister hat Josef? Die Anzahl ist die siebte Zahl des Codes.

Kapitel Acht

Marco und Josef standen vor einer grünen Flügeltür, auf der eine Holztafel mit der Hausnummer neunzig angeschraubt war. Das Haus sah aus wie ein alter Fuhrwerkerhof. Josef probierte die große Türschnalle. Das rostige Knarren, das Josefs Versuch verursachte, ließ beide erstarren.

„Ist das Haus bewohnt?“ flüsterte Marco. „Vermutlich.“ antwortete Josef. Marco verdrehte die Augen, schlich dann die Hausmauer entlang und verschwand um die Ecke. Josef folgte ihm. Er fand Marco an die Mauer gelehnt, sein Handy in der Hand. Seine Finger flogen über das Display, tippten und wischten. „Findest du nicht, dass das ein schlechter Moment ist, deine Messages zu checken.“ fragte Josef ärgerlich. „Ich checke keine Messages.“ Marco tippte konzentriert weiter. „Ich sehe mir die Umgebung auf Google-Earth an. Na bitte, da haben wir ja das Haus.“ Er drehte das Display so, dass auch Josef es sehen konnte.

Das Bild zeigte einen langgestreckten Hof, der von mehreren Gebäuden eingerahmt wurde. Links stand das schmale Haus, an dessen Tür sie vor wenigen Minuten gestanden waren. Gleich daneben am oberen Displayrand sahen sie ein einstöckiges Haus, an das ein kleiner Schuppen anschloss. Das Gebäude daneben konnten sie nicht gut erkennen.

„Hier, auf der anderen Schmalseite, dem gelben Haus gegenüber, das dürfte eine Garage sein.“ stellte Josef fest. Marco nickte. „Und was ist das? Das sieht wie ein überdachter Abstellplatz aus.“ Marco nickte abermals. „Dort vorn.“ Sie sahen sich kurz um und gingen, um möglichst keine Geräusche zu machen, in der Wiese vor zu dem Gebäude, das sie schon von Google-Earth kannten.

„Das muss der Weg sein, den Lester immer genommen hat.“ sagte Josef, als sie unter das Dach traten. Er bückte sich und hob den Deckel einer Spraydose auf. Marco hatte inzwischen die Taschenlampe auf seinem Handy aktiviert und leuchtete in das Gebäude. Im Lichtkegel tauchten nacheinander zwei kleine Traktoren auf. Er ließ den Schein des Handys über die hintere Wand wandern und blieb bei einer Eisentür hängen. War das der Weg? Um den Akku seines Handys nicht zu sehr zu belasten, drehte er das Licht ab und schlich vorsichtig im Dunkeln weiter. Er taste sich an der Wand entlang, bis er die Eisentür erreichte.

„Shit, die ist auch zugesperrt.“ flüsterte Marco enttäuscht, nachdem er vergeblich an der Schnalle gerüttelt hatte. „Und jetzt?“ „Wir müssen etwas übersehen haben.“ Josef war Marco gefolgt. „Lester war mehrmals in der Woche hier, er wird doch nicht jeden Tag hier eingebrochen sein. Ich weiß genau, dass er mir von einem Tunnel erzählt hat, einem Tunnel der seit Jahren nicht mehr benutzt wird.“ „Vielleicht hat er ihnen einen Hinweis hinterlassen.“ Die beiden setzten sich auf den Betonboden und lehnten sich an die Mauer. „Blödsinn, denk doch bitte einmal nach. Lester wollte nicht entdeckt werden, da wird er doch nicht … kannst bitte einmal dein blödes Handy weglegen?“ während Josef sprach, hatte Marco wieder sein Smartphone zur Hand genommen. „Mein Handy ist nicht blöd.“ Er sprang auf. „Kommen sie mit, ich hab am Plan was entdeckt.“

Marco führte Josef zurück auf die Straße. „Hier ist der Eingang.“

Josef sah sich um. „Willst du mich verarschen? Da ist weit und breit keine Tür.“ „Sie schauen in die falsche Richtung.“ Ein Lächeln umspielte Marcos Mund. „Sie stehen am Eingang.“ Josef senkte den Blick und musste lachen. „Der Kanaldeckel. So kam Lester zu seinem Tunnel!“

Welche Hausnummer hat das Haus in der Mautner Markhof-Gasse, vor dem Marco und Josef den Eingang zum Tunnel gefunden haben? Zähle die beiden Ziffern der Zahl zusammen. Das ist die nächste Stelle deines Codes.

Kapitel Neun

„Und jetzt?“ Josef und Marco standen in einer niedrigen Röhre, in der sie kaum aufrecht stehen konnten. Das Licht von Marcos Handy leuchtete kaum fünf Meter weit. Der Gestank war atemberaubend.

„Und jetzt?“ fragte Marco noch einmal. „Wir müssen uns für eine Richtung entscheiden.“ „Ich weiß es nicht.“ Die Stimme von Josef klang gedämpft, weil er sich ein Taschentuch vor Mund und Nase hielt. „Stadtauswärts? Vielleicht bauten sie den Tunnel, um den Zentralfriedhof zu erreichen.“ „Klingt logisch. Dann dort entlang.“ Marco drängte sich an Josef vorbei. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen.

Die ersten paar Minuten legten sie schweigend zurück. Immer wieder drang das Quieken von Ratten durch die Stille, doch noch hatten sie keine gesehen. Plötzlich blieb Marco stehen. „Hören sie das?“ fragte er Josef. Bevor er noch eine Antwort bekam, machte Marco einen großen Satz rückwärts und stieß Josef beinahe um. Keine Sekunde zu früh, denn ein großer Schwall ergoss sich auf die Stelle, an der Marco noch einige Momente vorher gestanden hatte. „Da war wohl noch einer am Klo.“ stellte Marco fest. Mit einem großen Schritt stieg er über einen Haufen nassen Toilettenpapiers. „Los. Weiter!“

 „Was wollen sie eigentlich machen, wenn sie den Tunnel gefunden haben?“ fragte Marco, nach dem sie sich immer weiter vom Einstieg entfernt hatten. „Wollen Sie ein Museum für ihren Bruder einrichten? Dann würd ich aber einen anderen Eingang suchen. Hier kommt niemand freiwillig runter.“
„Darüber hab ich mir noch keine Gedanken gemacht.“ antwortete Josef.
„Falls wir wirklich Graffitis von Lester finden sollten, können sie sie nicht einfach von der Wand schneiden.“
„Ich werde sie fotografieren, vergrößern und eine limitierte Anzahl von Abzügen in meiner Galerie verkaufen. So habe ich es auch mit den anderen Bildern von Lester gemacht.“
„Wie viele Bilder haben sie schon?“
„Die vier Bilder mit den Hinweisen auf den Tunnel. Wenn du das letzte nicht übermalt hättest, wären fünf. Eines habe ich noch am Flakturm im Arenbergpark gefunden. Und eines hat mir Lester selbst an der Mauer beim Zentralfriedhof gezeigt. Die letzten beiden habe ich schon ausgestellt.“

Marco stoppte so plötzlich, dass Josef fast in ihn hineingelaufen wäre. Er stolperte und stieß mit dem Kopf gegen die feuchte Kanalwand.

„Was ist los? Kommt wieder eine Toiletten-Ladung?“ wollte Josef wissen und rieb sich die Stirn.
„Ich glaube, wir haben den Eingang gefunden.“ Der Lichtstrahl von Marcos Handy fixierte eine Stahltür, die sie mit wenigen Schritten erreichten. Eigentlich hätte die Tür mit einem Vorhängeschloss versperrt sein, doch das Schloss hing offen an einer Stahlöse und die Tür stand einen Spalt offen.

„Wieso hat Lester sie nicht versperrt?“ wunderte sich Josef. Marco zuckte mit den Schultern. Das Licht von seinem Handy verlosch langsam und ging schließlich ganz aus. Die Finsternis im Tunnel wurde nur durch einen schwachen Lichtschein erhellt, der durch den Türspalt drang.

Josef drückte gegen die Tür, die sich mit einem lauten Knarren öffnete.

Wie viele Bilder von Lester hat Josef bereits fotografiert? Die Zahl ist die nächste deines Codes.

Kapitel Zehn

Sie standen in einem Tunnel, der vielleicht fünf Meter breit war. Das erste Stück war von Baustellenscheinwerfern hell erleuchtet, das Ende verlor sich in der Dunkelheit. Die Wände waren, soweit sie sehen konnten, mit bunten Grafiken bedeckt. Nicht weit vom Eingang stand eine Person und hielt eine Spraydose in der Hand. Sie trug eine graue Cargohose und einen schwarzen Hoodie, der über und über mit Farbspritzern bedeckt war. Die Kapuze und eine weiße Staubmaske bedeckten das Gesicht, nur die Augen waren zu sehen. Und die fixierten Marco und Josef.

„Was macht ihr hier?“ die Stimme der Person wurde durch die Maske stark gedämpft.
„Genau das wollte ich auch fragen.“ Josef näherte sich der Person. „Wer gibt ihnen das Recht, hier Kunstwerke zu zerstören.“
„Wer mir das Recht gibt? Ich versteh nicht.“ Die Person schlug die Kapuze zurück und zog sich die Maske vom Gesicht.
„Lester!“ rief Josef verwundert aus.
„Wer sonst? Der Osterhase.“
„Ich dachte, du bist tot.“ Josef starrt die Person an, als ob er einen Geist gesehen hätte.
„Tot? Ich? Warum?“
„Es stand in der Zeitung, dass …“
„Brüderchen,“ Lester schüttelte den Kopf und lachte. „Du darfst nicht alles glauben, was in den Mistblättern steht.“
„Aber es war nicht nur eine! Es stand im Standard, im Kurier, in der Krone …“
„… und in Österreich und in heute. Ich weiß. Ich habe alle Zeitungen gelesen. Nur die Presse war sich zu gut dafür.“ Lester stellte die Farbdose, die er in der Hand hielt auf den Boden.

„Es gab also keinen Unfall auf der U4?“ fragte Josef.
„Doch natürlich. Aber das war nicht ich. Ein Bekannter hatte mir am Abend davor meine Geldtasche gestohlen. Mit der hat ihn die Polizei dann identifiziert, beim Rest von ihm war das nicht mehr möglich.“ Lester schüttelte sich. „Eine grausliche Geschichte.“
„Aber ich habe dich auch am Handy nicht erwischt.“
„Auch das hat er mir gestohlen.“

Josef stürzte auf seinen Bruder zu und umarmte ihn heftig. „Ich bin so froh, dass du lebst!“ murmelte er in die Kapuze.

„Schon gut.“ Lester versuchte, sich zu befreien. „Warum bist du aber hier? Wie hast du mich gefunden? Und wer ist der hier?“

Das war Marcos Stichwort. „Ich bin Marco, ihr Bruder hat mich gebeten, ihm bei der Suche nach ihrem Tunnel zu helfen.“ Er sah auf sein Handy, das gerade noch so viel Akku hatte, um die Zeit anzuzeigen. „Und jetzt würde ich gerne heimfahren, denn in spätestens einer Stunde steht meine Mutter auf. Und wenn ich dann nicht zu Hause bin, habe ich mächtigen Ärger!“

Wie viele Zeitungen berichteten von Lesters Tod? Die Zahl ist die letzte Ziffer deines Codes.

Am Ende der Geschichte hast du jetzt zehn Ziffern entdeckt , die einen zehnstelligen Code ergeben. Die Ziffer aus Kapitel Eins ist die erste Stelle, steht also ganz rechts, die Ziffer aus Kapitel Zwei ist die zweite Stellen, steht links neben der aus Kapitel Eins und so weiter. Die Ziffer aus Kapitel Zehn steht also ganz links.

Hast du den Code entschlüsselt? Dann komm zu uns ins come2gether. Wann? Sobald wir wieder offen haben. Wann das sein wird, erfährst du über unsere Social-Media-Kanäle.

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