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4. Jänner 2017

Jugendpolitik

Sozialräumlich orientierte Jugendarbeit des Vereins Wiener Jugendzentren als Akteurin kommunaler Jugendpolitik in Wien – 6 konkrete Projekte

In meinem Beitrag stelle ich eingangs den Fokus einer sozialräumlich orientierten Jugendarbeit in Wien vor, der konsequent den Anspruch der Wahrnehmung eines jugendpolitischen Mandates verfolgt. Unter dem Titel Jugendarbeit und Jugendpolitik lege ich anschließend am Beispiel von bedeutsamen Schlüsselprojekten des Vereins Wiener Jugendzentren die Praxis dieser sozialpädagogischen Ausrichtung dar: Jugendarbeit ist Expertin für Jugendliche und deren Bewältigungsformen, Interessen und Handlungsweisen und schafft Öffentlichkeit(en) für und mit Jugendlichen zur Abbildung ihrer Interessen und Bedarfe.

Ausgangspunkt: Die Sozialräumliche Orientierung der Jugendarbeit

Die sozialräumliche Perspektive der offenen Jugendarbeit stellt einen sozialpädagogischen Zugang dar, der sich dadurch charakterisiert, Jugendliche (und auch Jugendarbeit) als Teil eines sozialräumlichen Zusammenhanges zu sehen. In diesem finden Jugendliche im Prozess der selbsttätigen Aneignung ihres sozialräumlichen Umfeldes Möglichkeiten, Chancen, aber auch Barrieren bei der Ausgestaltung ihrer Handlungsräume vor. Sozialräumliche Jugendarbeit versucht daher systematisch Wahrnehmungen zu entwickeln, welche Aneignungsmöglichkeiten Jugendliche in all ihren Unterschiedlichkeiten in den sozialräumlichen Bezügen vorfinden. Davon ausgehend, stellt sich der Herausforderung, wie sich die Jugendarbeit selbst – als Medium der Raumaneignung verstanden – sozialräumliche Qualitäten für Jugendliche in einer ganz spezifischen (natürlich diversitätsorientierten) Form entfalten kann. Diese verfolgen das Ziel Bildungs- und Lernchancen zu eröffnen, Kommunikations- und Begegnungsräumen zu ermöglichen und informelle Lernprozesse zu fördern.

Darüber hinaus verfolgt Jugendarbeit aber auch ihre zentrale Aufgabenstellung in der Wahrnehmung eines jugendpolitischen Mandates: Die Jugendarbeit schafft „Jugendöffentlichkeiten“, in denen ihre Erfahrungen und Interessen sichtbar gemacht und thematisiert werden. Jugendarbeit fordert aber auch im Rahmen ihres sozialpolitischen Mandates Kooperation und Vernetzung im kommunalen Bereich, welche letztlich die Handlungsräume Jugendlicher nachhaltig zu erweitern trachten.

Perspektiven (Meilensteine) einer sozialräumlichen Orientierung der Jugendarbeit

  • Durch systematische Sozialraumerkundungen werden die Bedarfe, Interessen und Probleme der unterschiedlichen Jugendkulturen wahrgenommen. „Der sozialräumliche Blick“ (Deinet/Krisch 2006) sucht hier die unterschiedlichen „Raumbestimmtheiten“ (Simmel) von Jugendlichen und bestehende gesellschaftliche Raumdefinitionen – mitunter in ihrer Widersprüchlichkeit – zu erfassen und in weiterer Folge diese Konfliktlinien zu thematisieren.
  • Aus diesem sozialräumlichen Blick heraus entwickelt Jugendarbeit in Abstimmung mit den Jugendlichen entsprechende Angebote in der Einrichtung bzw. in Form „herausreichender Arbeit“ in den Sozialräumen von Kindern und Jugendlichen.
  • Durch die Etablierung von Kooperations- und Vernetzungsinitiativen im politischen und sozialen Bereich baut Jugendarbeit Netzwerke für und mit Jugendlichen auf und erweitert damit deren Handlungsräume.
  • Aus dem sozialräumlichen Verständnis heraus versucht Jugendarbeit Ressourcen der Lebensbewältigung zu bündeln und Beratungs- und Unterstützungsangebote für Jugendliche offensiv aufeinander zu beziehen und damit sozialräumlich zu öffnen.
  • Aus ihrem partizipativen Verständnis heraus trachtet Jugendarbeit unterschiedliche Jugenden (besonders auch Mädchen) bei der Erweiterung und Mitgestaltung von „Räumen“ zu unterstützen.
  • Aus dem Anspruch der politischen Bildung ist Jugendarbeit gefordert jugendpolitische Anliegen zu thematisieren und damit auch politische Bildungsprozesse zu bewirken.

Schlüsselprojekte einer sozialräumlichen Jugendarbeit, die den engen Zusammenhang zwischen Jugendarbeit und Jugendpolitik deutlich macht, am Beispiel der gegenwärtigen Wiener Jugendarbeit:

1. Wiener Jugendplattform
Die vierteljährlich stattfindende „Wiener Jugendplattform“ ist eine regelmäßige Zusammenkunft aller sozialer Institutionen, die im weitesten Sinn mit Jugend und deren Bewältigungsformen befasst sind. Eingeladen von der Stadt Wien und koordiniert vom Landesjugendreferat, werden relevante Entwicklungen, Initiativen, gemeinsame Fragestellungen eingebracht und diskutiert und Wien weite Initiativen angedacht.

2. Sozialraumerkundung (Sozialraumanalysen)
Bedeutsam erscheint die andauernde aber auch anlassbezogene Durchführung von Projekten und Initiativen der Sozialraumerkundung (Sozialraumanalysen) als Teil der selbstverständlichen Praxis der sozialräumlichorientierten Offenen Jugendarbeit. Der Fokus liegt zum einen auf den Prozessen sozialräumlicher Aneignung von Jugendlichen, zum anderen auf gesellschaftlichen Raumzuschreibungen, die den Bedarfen Jugendlicher oft wiedersprechen. Die Chancen und Barrieren der Aneignungsprozesse entfalten sich in der Widersprüchlichkeit der unterschiedlichen Raumbestimmtheiten. Kontinuierliche Stadteilbegehungen, Mobile Nadelprojekte, Cliquenraster, Gruppendiskussionen, Befragungen u.a. beteiligen Jugendliche andauernd an der Beschreibung des „sozialräumlichen Klimas“ und an der Entwicklung entsprechender Angebote der Jugendarbeit. Das aktuelle Wissen über die Vorgänge im Sozialraum erlaubt die andauernde Wahrnehmung eines jugendpolitischen Mandates.

3. Word Up! Jugendparlamente
Jugendarbeit trachtet danach, Öffentlichkeit für Jugendliche zu schaffen: Die Durchführung Wien weit nachgefragter, jugendgerechter Word Up! Jugendparlamente als Kooperationsprojekte zwischen Jugendarbeit, Schule und kommunaler Politik erlaubt die Beteiligung Jugendlicher an der konkreten Ausgestaltung des Gemeinwesens. Das Setting dieser Veranstaltungen fordert eine „gemeinsame Raumsprache“, die besonders die spezifischen Aneignungsformen, aber vor allem die Themen der Jugendlichen unter folgenden Prämissen berücksichtigt:

Es ist zu gewährleisten, dass Jugendliche ihre Themen vorbringen können. Ziele und Ergebnisse müssen formuliert und eingefordert werden. Themenbereiche müssen an Jugendliche, die hier meist durch Vertreter_innen repräsentiert werden, rückgebunden werden. Für geeignete jugendadäquate Settings der Themenfindung, der Diskussion oder Auseinandersetzung ist zu sorgen. In den Foren, wo Jugendliche auf Erwachsene treffen, muss durch die Moderation gewährleistet sein, dass die Sitzungen nicht im Interesse der Erwachsenen funktionalisiert werden können.

Im Rahmen der „Word Up! Projekte“ gelingt es tendenziell, Gleichwertigkeit in der Konfliktaustragung und Verständigung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen herzustellen und ein „sozialräumliches Klima“ zu schaffen, in dem auch das typische Gruppenverhalten Jugendlicher Anerkennung findet.

4. Die Beteiligung an kommunalen Planungsprozessen in Stadtentwicklungsgebieten
Jugendarbeit hat sich den Status als Expertin für Jugendangelegenheiten erarbeitet und wird neuerdings in „kooperativen Planungsverfahren“ einbezogen. Auch bei der Planung und Konzeption von Einrichtungen der Jugendarbeit und Jugendinitiativen gewährleistet die kommunale Jugendarbeit die Beteiligung und Mitsprache von Jugendlichen.

Der Aufbau von Kooperation und Vernetzung im sozialräumlichen Zusammenhang führt zur Eröffnung und Erweiterung von Handlungsspielräumen Jugendlicher. Die heterogenen Raumbedürfnisse werden bei Stadtplanung, Sanierung und Gestaltung laufend berücksichtigt. Die Jugendlichen des Stadtteils sind in den Prozess der Ausgestaltung von Räumen eingebunden. Die Identifizierung und Aneignung des Raumes oder des Stadtteiles wird von der Bezirkspolitik und vom Gemeinwesen gefördert.

5. CU television
CU television ist eine öffentliche Plattform in einer österreichweit ausgestrahlten – nicht kommerziellen – Jugendsendung auf Okto, einem Wiener Communitysender. Sie bietet den Wiener Jugendlichen eine Öffentlichkeit für ihre Anliegen, Themen und Interessen. CU television ist somit eine überregionale medienpädagogische Einrichtung des Vereins Wiener Jugendzentren. Hier haben Jugendliche von 12 bis 20 Jahren die Möglichkeit an der Gestaltung einer Fernsehsendung zu partizipieren. Von der Idee zum Dreh über den Schnitt bis hin zur eigenen Moderation im Studio sollen die Mitwirkenden an möglichst vielen Produktionsschritten teilhaben.

6. Wiener Glossar und Mission Statement „Soziale Arbeit im öffentlichen Raum“
Bei der Erstellung eines Wiener Glossars und Mission Statements „Soziale Arbeit im öffentlichen Raum“ konnte die Wiener Jugendarbeit federführend die Rolle der Sozialpädagogik und den Auftrag der Jugendarbeit im kommunalen Zusammenhang darstellen. Die Rolle der Sozialen Arbeit im öffentlichen Raum, die Bedeutung der Jugendarbeit und einer entsprechenden Jugendpolitik wurde sodann in einem Mission Statement festgelegt und verbindlich auf allen Ebenen der Wiener Stadtpolitik diskutiert.

Ausblick: Die Entwicklung eines Jugendbarometers
Das Verfahren eines Jugendbarometers in den Stadtteilen untersucht die erfahrenen Beteiligungsspielräume Jugendlicher auf den jugendpolitisch relevanten Ebenen: Bildung, Arbeit, Raum und Politik. Das „Barometer“ kann als Ausgangspunkt einer jugendpolitischen Auseinandersetzung dienen. Es soll die Chancen, Barrieren und Möglichkeiten Jugendlicher in den Stadtteilen Wiens erkunden. Im Vordergrund stehen die erlebten Beteiligungsspielräume der Jugendlichen, die sich als sozialräumliches Klima beschreiben lassen. Anhand der vier Felder Bildung, Arbeit, Raum und Beteiligung – Kernfelder jeder Jugendpolitik – soll das Klima in einem Stadtteil oder einem sozialen Raum erfasst werden.

Das Jugendbarometer wird über die Befragung Jugendlicher, Gruppendiskussionen mit Jugendlichen und auf Einschätzung von Jugendpolitiker_innen und Jugendfachleuten gewonnen. Dieses Instrument kann damit auch als Aufforderung zur lokalen jugendpolitischen Auseinandersetzung gesehen werden. Es richtet den Blick auf die Jugendlichen als Gestalter und Gestalterinnen ihrer Biografien, der sozialen Umwelt und der Stadtteile Wiens.

LITERATUR:

Böhnisch,L./Krisch, R.: Politische Bildung in sozialräumlicher Perspektive. Rehburg-Loccum. 2013 http://www.sozialraum.de/politische-bildung-in-sozialraeumlicher-perspektive.php
Deinet, U./Krisch, R.: Der sozialräumliche Blick der Jugendarbeit. 2. Auflage 2006
Krisch, R./Stoik, C. u.a.:
Mission Statement und Glossar Soziale Arbeit im öffentlichen Raum. Wien 2012 https://www.wien.gv.at/gesellschaft/soziale-arbeit/

Krisch, R.: Sozialräumliche Methodik der Jugendarbeit. Juventa 2009
Verein Wiener Jugendzentren: Partizipation. Zur Theorie und Praxis politischer Bildung in der Jugendarbeit. Wissenschaftliche Reihe Band 5. Wien 2008

Richard Krisch, Wissenschaftlicher Referent (VJZ)

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