2023 reiste ich als Teil einer Delegation von Wiener Jugendarbeiter:innen nach Jerusalem. Ich bin seit 10 Jahren als Jugendarbeiter tätig und dies war meine erste Reise nach Israel.
Ich hatte die Gelegenheit, Jugendarbeit in einer der diversesten und komplexesten Städte der Welt kennenzulernen. Jerusalem, die bevölkerungsreichste und zugleich (nach Einkommen) ärmste Stadt in Israel. Eine Stadt mit einer Jahrtausende alten Geschichte, die für drei Weltreligionen heilig ist. Eine Stadt mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen sowie einer umstrittenen Vergangenheit und Gegenwart.
Die von uns besuchten Einrichtungen der Jugendarbeit stellten sich anders dar, als ich es aus meiner Tätigkeit im Jugendtreff kenne. Für die meisten Angebote müssen sich die Jugendlichen im Vorfeld anmelden oder registrieren. Dazu kommt ein kleiner finanzieller Beitrag, der regelmäßig entrichtet werden muss.
Inhaltlich wird ausschließlich themenzentriert gearbeitet. Es geht um Innovation und Unternehmer:innentum (JLM Spark Innovation and Entrepreneurship Center), kreativen Ausdruck (Tzipory Music Camp), Vorbereitung auf den Militärdienst (Beit Nechemia), Förderung von Wissen und Lerninhalten (Jugendzentren in Wadi Joze and Shoafat – OST Jerusalem) oder Körper, Geschlecht und sexuelles Begehren (Open House for GTLB).
Zudem besuchten wir Einrichtungen, die sich speziell mit „youth at risk“ beschäftigen. Damit sind beispielsweise Jugendliche mit Suchterkrankungen (shelter for youth with addictions) oder Problemen am Arbeitsmarkt (Beit Suzan - workshop for youth at risk) gemeint.
Jugendarbeit einmal anders
Viele Themen waren für mich oft schwer nachvollziehbar, manchmal sogar im Widerspruch zu den Grundsätzen der Wiener Jugendarbeit. Die ständige Präsenz von Militär im öffentlichen Leben wirkte auf mich ebenso fremd wie die Verankerung der Jugendarbeit in der Vorbereitung für den Militärdienst.
Und doch scheint es so, als ob Jugendarbeit in Jerusalem funktionieren würde. Ich glaube sogar, dass sie das nur tut, weil sie so organisiert ist. Die meisten Programme sind auf Jugendliche aus bestimmten Gruppen zugeschnitten. Dabei geht es oft um die Kategorien Geschlecht, Herkunft und Religion. Letzteres birgt in sich selbst nochmals Komplexität, nicht nur in Bezug auf Konfessionen, sondern auf verschiedene Abstufungen wie säkular, orthodox, ultraorthodox, konservativ, usw. Insgesamt also eine sehr vielschichtige Ausgangslage für Jugendarbeit. Gäbe es ein Angebot für „Alle“, so würden einige die Angebote nicht annehmen. Sei es aus Gründen der Religion, des Geschlechts oder der Herkunft.
Will man also Jugendliche erreichen und sie dort abholen, wo sie sind, muss sich Jugendarbeit an die gesellschaftlichen Bedingungen anpassen – so lautet zumindest meine These.
Lukas Witzeling, Base 20