Corona-Krise: Jugendzentren-Unterstützung für Arbeit in Wohngemeinschaften und Krisenzentren der Stadt Wien – Kinder- und Jugendhilfe
Ende März erreichte die Mitarbeiter_innen der Wiener Jugendzentren ein Unterstützungsansuchen der Stadt Wien – Kinder- und Jugendhilfe, welches sich sinngemäß so zusammenfassen lässt:
Personalengpässe und die Möglichkeit steigender Infektionszahlen gefährden die Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe, Schutzräume für Kinder und Jugendliche im notwendigen Betreuungsausmaß besetzen zu können. Der Kinder- und Jugendschutz muss gerade in diesen Zeiten aufrechterhalten werden. Dafür ist es unerlässlich, professionelles Personal einzusetzen. Gesucht sind Jugendarbeiter_innen, die sich freiwillig melden, die Stadt Wien in der Krisenzeit zu unterstützen. Die Unterstützungsleistung sei einer Hospitation gleichzusetzen, die Freiwilligen bleiben dabei selbstverständlich Angestellte ihres Trägervereins und können die Tätigkeit auch jederzeit beenden.
Als mobiler Jugendarbeiter war ich zu diesem Zeitpunkt wie alle Kolleg_innen bereits seit Mitte März im verordneten Home-Office. Mit dem Ansuchen der Kinder- und Jugendhilfe konfrontiert, sagte ich spontan zu. Im Rahmen meiner Ausbildung zum Sozialarbeiter praktizierte ich zwei Monate in einer Notschlafstelle für Jugendliche. Das war in den frühen 90er Jahren, Träger war damals die Bewährungshilfe. Die Erfahrung damals war sehr intensiv, ich erinnere mich gerne an diese Zeit zurück. Das half vielleicht bei der schnellen Entscheidungsfindung. Nach der unkomplizierten und raschen Abklärung der arbeitsrechtlichen Modalitäten wurde ich dann mit 3. April eingesetzt.
Mein Arbeitsort war jetzt eine Krisenintensiv-WG am Stadtrand, Zielgruppe Jugendliche im Alter zwischen 15 und 18, untergebracht in einem Neubau eines Stadterweiterungsgebiets. Die zu betreuenden Jugendlichen werden im Einrichtungsfolder so beschrieben. „Jugendliche, die in den Zuständigkeitsbereich der Stadt Wien – Kinder- und Jugendhilfe fallen […] sowie. Jugendliche, bei denen andere Ressourcen bereits ausgeschöpft sind […] sowie. Jugendliche, die aufgrund ihres sozialschädigenden Verhaltens (Gewalt, Terror, Mobbing, Delinquenz) das Gruppenleben in der Herkunftseinrichtung stören […] oder Jugendliche, die substanzabhängig sind und vorerst jegliche Hilfe ablehnen oder verweigern.“ Das klang spannend.
Das Team nahm mich sehr freundlich auf und erklärte mir die Basics, welche die Einrichtung ausmachen: Grundversorgung (Schlaf – und Wohnplatz, täglich warme Mahlzeiten, Duschen, Wäsche waschen), Schutz-und Ruheraum, Sicherheit und Orientierung durch verlässlichen Rahmen und klare Regeln, Beratung und Information, Schutz vor Gewalt und Suchtmitteln in der Einrichtung. Ziel ist es, einer Verselbstständigung näher zu kommen, die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für die Jugendlichen hat mit der Volljährigkeit schließlich ein Ablaufdatum.
Von mir wurde erwartet, im WG-Alltag auszuhelfen, die Jugendlichen bei Hausaufgaben zu unterstützen und Freizeitaktivitäten – so im Rahmen der diversen verordneten Beschränkungen möglich – durchzuführen.
Die Jugendlichen nahmen mich als Neuen wohlwollend, wenn auch recht gleichmütig zur Kenntnis. Die meisten von ihnen haben schon viele Betreuer_innen erlebt. Die Einrichtung war während meiner bisherigen Dienstzeit nicht voll belegt. Was auch daran liegt, dass Bewohner_innen immer wieder mal abtauchen, abgängig gemeldet sind. Die, die die Einrichtung nützen, können deshalb aktuell in Einzelzimmern wohnen und scheinen sich, meines Eindrucks nach, in der WG gut aufgehoben zu fühlen. Die Räumlichkeiten sind neu und freundlich, die Mitarbeiter_innen durchwegs erfahren, engagiert und sehr sympathisch. Eine großzügig dimensionierte Wohnküche fördert soziales Beisammensein. Dort verbringe ich auch meinen persönlichen WG-Alltag.
„Sport oder so“, das machte mir ein Mädchen gleich anfangs klar, „das interessiert hier niemanden, wir sind WG-Kinder“. Klare Ansage. Also verbrachte ich den ersten Nachmittag mit gemeinsamem Fernsehen. Am nächsten Tag fragte mich ein Mädchen, ob ich ihr helfen wolle. Sie könne Unterstützung brauchen beim Kuchen backen. Damit mir nicht langweilig wird. (Sie hätte durchaus Talent zur Freizeitpädagogin.) Gerne, nur zu. Der Kuchen gelang und am folgenden Tag empfing sie mich schon wartend. „Biskuitteig vorbereiten, heute gibt’s Erdbeerkuchen“. Ich war beeindruckt und so bekam ich die ersten Tage einen persönlichen Koch- und Backkurs. Die Jugendliche erzählte mir, dass ihre Mutter Konditorin war und an dem Tag verstarb, als sie ihren siebenten Geburtstag hatte. Seitdem ist sie in der Obhut des Jugendamts. Andere Verwandte, welche die Obsorge übernehmen hätten können, hatte sie nicht.
Die anderen Jugendlichen nahmen unsere emsige Küchentätigkeit durchaus anerkennend auf, halfen ein wenig mit oder hielten sich daneben in der Wohnküche auf. Dabei konnte ich ihnen nebenher bei ihren Hausaufgaben helfen, die sie im Rahmen ihrer Kurse online zu erledigen hatten. Hierbei stellte sich rasch eine positive Beziehung zu den Jugendlichen ein. Die Grenzen waren bei aller Niederschwelligkeit aber auch schnell ersichtlich. Es sind mehrere Jugendliche abgängig gemeldet, werden teils von der Polizei in die WG gebracht, um diese umgehend wieder zu verlassen. Andere haben ein veritables Drogenproblem, sind tagelang verschollen. Mit der Zeit erfahre ich auch mehr und mehr Hintergründe und bekomme ein wenig Einblick in die teils bemerkenswert turbulenten Lebensgeschichten der jungen Menschen.
Ich gehe davon aus, dass meine Dienstzeit in der WG bald vorbei sein wird. Mittlerweile ist der Personalstand auch wieder fast in Bestbesetzung. Persönlich wird es für mich eine Zeit bleiben, die ich als absolut bereichernde Erfahrung mitnehmen werde.
Michael - Mix - Wind, Back on Stage 16/17